Bei Flut sieht man im türkis, seichten Salzwasser Früchte der Gärten nicht. Dann liegen, an einem der schönsten Strände unter dem Himmel Afrikas, die Seegrasfelder an Sansibars Ostküste unter seichtem, schützendem Wasser. Bei Ebbe ziehen Gruppen von Sansibari-Frauen, gekleidet in blauen Kangas, ins trocken da liegende Meer. Sie gehen auf ihre Felder der Seegras-Farm im korallweißen Watt des Indischen Ozeans.

Einige der Frauen, die diese Seegras-Farm pflegen, treffe ich im Seaweed-Center im Dorf Paje. Fröhlich begrüßt mich Aisha am Empfang. Auskunftsfreudig berichtet sie mir von dem Seaweed-Center-Projekt, das einigen Frauen im Dorf Arbeit gibt. Dabei reibt sie meine Hände mit einem wohlriechenden Scrub und massiert sie angenehm. Das tut der sonnengegerbten Haut spürbar gut! Stolz zeigt sie mir danach die Produktionsorte der kleinen Kosmetik-Manufaktur und erlaubt mir einen Blick hinter die Kulissen der Seifenküche, in der neben Seife auch Körperöle und Scrubs produziert werden. Nebenbei erzählt sie mir von der Geschichte des Seegras-Anbaus auf Sansibar sowie den Produkten, die hier daraus entstehen.
Einst als ökonomischer Rettungsanker gedacht, wird Seegras seit den 80er Jahren auf der Insel kultiviert. Mehr als 20.000 Menschen leben auf der Insel vom Anbau. Das Konzept geht zunächst auf, das grüne Gold wird getrocknet in die Nahrungsmittel- und Kosmetikindustrie Asiens exportiert. Als die Meeresgärten der Insel noch größere Gewinne abwarfen, arbeiteten ganze Familien in eigenen Seegras-Farmen. Die zunächst ökonomisch erfolgreiche „Entwicklungshilfe“ ist mittlerweile durch Preisdiktat der Händler im Niedriglohnsektor angekommen. Die harte körperliche Arbeit wird daher – wie so oft – hauptsächlich von Frauen betrieben. Auch im Seaweed-Center sind es überwiegend Frauen, die in dem Projekt arbeiten. Die Preisbindung des internationalen Handels macht es schwer das Einkommen der lokalen Erzeugerinnen und deren Familien zu erhöhen. Angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten auf der Insel, wäre dies jedoch dringend notwendig. Im Seaweed-Center Paje, probiert man daher Methoden, mehr Einkommen für die Angestellten und Dorfbewohnerinnen zu generieren.
Anmutig gestikuliert Aisha beim Erzählen mit ihren Händen, die mit kunstvollen Henna-Tätowierungen bemalt sind – traditioneller Schmuck der Frauen auf der arabisch-afrikanischen Insel, denn hier treffen sich Orient und Afrika. Sie erklärt, ein Teil der Philosophie des ganzheitlichen und nachhaltigen Konzeptes sei es, dass das Projekt von den Frauen selbstorganisiert betrieben wird. Und die positiven Effekte fallen sofort auf: Diese Frauen strahlen ein anderes Selbstbewusstsein und mehr Mitteilungsfreude au. Anders als wie man es von den Hitze geplagten, oft langsamen Dorfbewohnern kennt. Initiiert und gegründet wurde das Center von der schwedischen Rylander Foundation. Dessen ,soziale Interpreneure‘ entwickelten ein nachhaltiges Konzept, das dabei helfen soll, den Angestellten unabhängige Löhne zu garantieren.
An dem ungewöhnlich diesigen Tag, werde ich dann von zwei stolzen, jungen Frauen ins trocken da liegende Watt gebracht. Der Weg dorthin führt parallel zum Strand durch das Dorf. Für viele Touristen, die hier eine Führung auf die Felder bekommen, ist der Weg durch das Dorf eine Neuheit. Die wenigsten Besucher gehen in die Dörfer der Insel und bewegen sich ausserhalb der bekannten Touristen-Pfade, wie den phänomenalen Traumstränden oder dem Nationalpark der Insel. Zu karg und heruntergekommen wirken die ärmlichen Wellblech gedeckten Häuser entlang der Hauptstrassen, hinter den Palmenhainen auf viele. – Wer wagt, gewinnt. Im Dorf hat man schnell spielende Kinder, die ausgelassen toben um sich oder lernt in einer einheimischen Bar das Bao-Spiel, Afrikas beliebtestes Brettspiel.
Am Meer angekommen, steht eine kleine Gruppe Frauen im Watt und pflanzt das Seegras an. In vier Farben leuchtet es in der diesigen Sonne. Die Ladies stecken spitze Pflöcke in den feinen Sand an denen das Grass in kleinen Büscheln an Nylonschnüren befestigt ist. Ab und an verletzt sich ein Kite-Surfer an Sansibars beliebtesten Surfstrand an den spitzen Stöcken im Wasser. Das Seegras wächst daran unter optimalen Bedingungen im lauwarmen Wattwassers heran. Der Anbau von Seegras ist hier jedem in die Wiege gelegt.
Ein Teil des Ausbildungsprogrammes ist es, die Angestellten in verschiedenen Sprachen zu unterrichten. Mohamed, der mir eben eine perfekte Einführung durch die Seegras-Felder auf Englisch gegeben hat, steht nun mit einer Gruppe Franzosen neben mir und führt sie auf Französisch durch die Felder. Italienisch ginge auch. Sprachen als Tor zur Welt.
Wie die Ausbildung das Selbstbewusstsein der sonst eher zurückhaltenden, schüchternen Sansibari fördert, erlebt man hier wie selten auf der Insel. So verscheuchen die ,Sisters‘, die das Seegras anbauen, jeden fremden Fotografen, der im Vorbeigehen versucht, sie verklärend romantisierend bei der schweren Arbeit im Meer abzulichten. Eine Nebensächlichkeit über die sich kaum ein Tourist Gedanken zu machen scheint. Hier wird den Frauen beigebracht, was ihre Arbeit und das Projekt wert hat. Möchte man sie fotografieren, muss man eine Führung buchen oder unverrichteter Dinge weiter ziehen. Diese Führung lohnt sich. Danach weiß man alles über den Anbau und die positiven Nebeneffekte von Seegrass-Produkten.
Nach dem Besuch im Meeresgarten geht es zurück zum Seaweed-Center auf einen Besuch in der Kosmetik-Produktion. Aber vorher gibt es einen leckeren Seegras-Smoothie für mich und als Aisha verrät, dass mein Geburtstag ist, stimmen alle spontan ein Happy Birthday auf Sansibari an: ,Cutta cakey to you‘ – Schneide den Kuchen. Ausgelassen ist auch die Stimmung am frühen Nachmittag in der Seifenküche. Hier treffe ich auf einige, die mir heute morgen auf der Seegras-Plantage begegnet sind wieder. Es sind Frauen aus allen Generationen des Dorfes, mit und ohne Familie, Alleinerziehende oder Verheiratete. Allen voran Miriam, die Produktionsmanagerin. Miriam erklärt mir, wie das getrocknete Seegras verarbeitet wird, während die anderen die Seife mit lecker riechenden Ölen und Gewürzen der Insel kochen. Bald wollen sie die verschiedenen, wohlriechenden Seifen, Scrubs und geschmeidiges Körperöl auf Seegras-Kokos-Basis auch an Hotelketten vertreiben. Dafür entwickeln sie derzeit ein neues Produktdesign – alle vermitteln, dass sie Profis sind. Man merkt, dass die Frauen stolz auf das Produkt und ihre Arbeit sind. Das Seaweed-Center in Paje ist daher jeder Hinsicht mehr als eine Seegras-Farm. Es ist im besten Sinne unauffällige, selbst verwaltete Entwicklungshilfe, die Hilfe zur Selbsthilfe leistet und ist damit ein kleines ökonomisches und soziales Wunder auf einer der schönsten und ärmsten Inseln Afrikas.
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